Ohne Atomkraft in die Zukunft

Wie sieht die Energieversorgung im Jahr 2030 aus? Unser Experte Oliver Plambeck erklärt, wie ein Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien erfolgen kann und wie wir in Meiningen dazu beitragen.
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Unser Autor

Oliver

Plambeck

Experte für Energiewirtschaft

Wie sieht die Energieversorgung im Jahr 2030 aus? Eine Frage, die nicht nur bei uns im Stadtwerk in den letzten Monaten immer intensiver diskutiert wird. Denn spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurden die Karte neu gemischt. Deutschland hat sich von der Atomenergie getrennt, zum 15.04.2023 wurden die letzten Meiler abgeschaltet. Auch der Kohleausstieg ist beschlossene Sache, spätestens 2030 soll das letzte Kraftwerk vom Netz gehen. Ursprünglich sollten Gaskraftwerke als Brückentechnologie den Weg zu erneuerbaren Energien unterstützen, denn sie können, anders als Kohle- und Atomkraftwerke, flexibler gesteuert werden. Wenn nun auch Gas keine dauerhafte Lösung mehr bietet, müssen wir uns auf erneuerbare Energien stützen, um die Energieversorgung zu sichern.

Grüne Energie braucht Gegenspieler

Doch befreien uns die erneuerbaren Energien von den fossilen Energieträgern? Noch nicht, denn Solar- und Windstrom brauchen dringend regelbare Kraftwerke als Gegenspieler, die genau dann Strom liefern, wenn erneuerbare nicht zur Verfügung stehen, nämlich bei Wind- und Dunkelflauten. Man spricht hier von „komplementärer Energie“.

Eine Überbauung von Wind- und Solaranlagen, wie sie Deutschland aktuell vorantreibt, führt zwar zu einem deutlichen Überangebot an Strom zur Tagesmitte bzw. zu windreichen Stunden. Allerdings sind die enormen Energiemengen, die Deutschland täglich benötigt, noch nicht speicherbar. Um keine Stromausfälle zu riskieren, sind wir also aktuell gezwungen, auf konventionelle Energien zurückzugreifen. Sollte die Erzeugungsleistung Deutschlands nicht ausreichen, sind wir zudem auf unsere Nachbarstaaten angewiesen, das heißt, wir müssen fehlende Strommengen gegebenenfalls importieren.

Wie wir uns für die Zukunft stark machen

Um bei der Energieversorgung in und um Meiningen noch unabhängiger von fossilen Brennstoffen und Energieimporten zu werden, verfolgen wir aktuell mehrere Projekte. Alle haben eines gemeinsam: Sie sollen regional vorhandene, natürlich Ressourcen zur Energiegewinnung nutzen und so gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Ein Schlüsselprojekt ist das Biowerk Walldorf. Wir sind mit der Umwelt, Projektbau & Immobilien GmbH Gesellschafter der Biowerk Walldorf GmbH, welche dort eine Biovergärungsanlage entwickeln will. Unsere Projektskizze haben wir bereits als „investives kommunales Klimaschutz-Modellprojekt“ vorgelegt, um uns für diese Großinvestition für wichtige Fördermittel vom Bund zu bewerben. Nachdem wir die erste Hürde nehmen konnten, arbeiten wir derzeit am hierfür nötigen Fördermittelantrag. Alle erforderlichen Genehmigungsverfahren wurden angestoßen und wir stehen im intensiven Austausch mit den beteiligten Behörden.

Mittlerweile ist die Entwurfsplanung für die Flusswärmepumpe am Wehr weitestgehend abgeschlossen und die letzten Genehmigungen werden eingeholt. Wir sind zuversichtlich, dass noch in diesem Jahr die ersten Ausschreibungen für einzelne Komponenten der Wärmepumpe erfolgen werden. Über die Flusswärmepumpe könnte bald knapp ein Drittel der in der Innenstadt benötigten Wärme erzeugt und in unser Fernwärmenetz einspeist werden. Das soll uns dem Ziel der Klimaneutralität einen immensen Schritt näherbringen.

Im Meininger Ortsteil Dreißigacker, in dem zahlreiche energieintensive Unternehmen ansässig sind, wurden bereits Messdaten für unser Abwärmeprojekt erhoben. Diese Daten können nun in das detaillierte Konzept des beauftragten Ingenieurbüros einfließen. Daraus wird ersichtlich werden, wie viel Wärme zurückgewonnen werden kann und in welcher Dimension dieses Projekt realisierbar ist.

Flexibilisierung der Verbraucher

Je höher der Anteil an erneuerbaren Energien in der Erzeugung ist, umso flexibler müssen auch Verbraucher werden. Um sich der Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien anzupassen, werden z.B. schon heute Industrieprozesse so gesteuert, dass sie vorrangig zu den Zeiten stattfinden, wenn genügend Strom im Markt verfügbar und somit auch der Preis niedrig ist. Für Verbraucher soll es zukünftig ebenso finanzielle Anreize geben, ihren Verbrauch zu verlagern und zu steuern. Über die Auswirkungen und Umsetzbarkeit gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Branche. Denn wir beobachten einen weiteren Trend: wir setzen in immer mehr Sektoren und Branchen zunehmend auf Strom als Energiequelle, da wir CO2-neutral werden wollen. Sowohl bei der Beheizung von Gebäuden, als auch im Verkehrssektor wird die Nachfrage nach Strom stetig ansteigen. Schätzungen zufolge wird alleine der zusätzliche Strombedarf der chemischen Industrie auf 630 Terrawattstunden ansteigen, um bis 2045 klimaneutral zu sein. Das ist mehr Strom, als ganz Deutschland im Jahr 2022 verbraucht hat.

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