Der Weg in eine Gaspreiskrise

Die Energiemärkte sind aus den Fugen geraten. Wie kam es zur aktuellen Gaspreiskrise und lässt sich bereits heute eine Prognose für die zukünftige Entwicklung geben? Unser Experte Oliver Plambeck gibt eine Einschätzung.
Foto von Nicholas Cappello
Unser Autor

Oliver

Plambeck

Experte für Energiewirtschaft

Die Energiemärkte sind aus den Fugen geraten. Das hat auch Folgen für unsere Kund*innen: Da wir erhöhte Bezugskosten nicht vollständig kompensieren können, steigen auch die Preise für Letztverbraucher. Doch wie kam es zur aktuellen Gaspreiskrise und lässt sich bereits heute eine Prognose für die zukünftige Entwicklung geben?

Energiehandel kurz erklärt

Zunächst ist es wichtig, die Grundprinzipien des Energiehandels zu verstehen: Damit ein Markt funktioniert, bedarf es einer gewissen Anzahl an Verkäufern und Käufern. Am Energiemarkt sind Verkäufer in erster Linie Kraftwerksbetreiber, Importeure oder Speicherbetreiber. Auf der Käuferseite stehen sowohl Stadtwerke und Energieversorger, als auch Zwischenhändler und Spekulanten, die mit steigenden und fallenden Preisen Gewinne erwirtschaften wollen.

Insbesondere der Gasmarkt war die letzten Jahre eher unaufgeregt. Preise schwankten in den letzten 5 Jahren zwischen 1,5 und 3,5 Cent je Kilowattstunde (kWh). Der durchschnittliche Preis lag bei ca. 2,1 Cent je kWh. Je nach Einkaufszeitpunkt konnten so Preisvorteile von maximal einem Cent gegenüber Wettbewerbern erzielt werden.

Hintergrund dieser Stabilität waren langfristige Bezugsverträge, welche deutsche Gasimporteure (Uniper, VNG und Co.) vor allem mit Russland geschlossen hatten. Diese garantierten auf unbestimmte Zeit Erdgas zu nahezu konstanten Preisen. Erkennbare Preisschwankungen gab es in der Folge nur, wenn beispielsweise Temperaturen im Winter ungewöhnlich kalt waren oder unvorhersehbare Ereignisse wie lokale Netzstörungen zu kurzfristigen Engpässen führten. Die Lieferketten konnten diese Ereignisse jedoch nicht stören, da Engpässe über den Markt geregelt wurden.

Der Ukraine-Krieg als Treiber der Energiekrise

Die Situation änderte sich am 24. Februar 2022. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war der langfristige Partner und Energielieferant Russland auf einmal für einen Krieg in Europa verantwortlich. Es begann eine Spirale der gegenseitigen Sanktionierung, welche unmittelbar auch auf dem Gasmarkt zu spüren war.

Dutch TTF Gas Future CAL 23 Dutch TTF Gas Futures | ICE

JAN 21

1,525 Ct./kWh

Der Preis betrug am 04. Januar 2021, dem ersten Handelstag am holländischen Leitmarkt TTF, 1,525 Ct./kWh.

Bereits im Jahresverlauf 2021 stiegen die Preise kontinuierlich an. Gründe hierfür waren unter anderem:

  • Der besonders lang anhaltende Winter 2020/21 führte zu erhöhtem Gasverbrauch
  • Am größten Erdgasspeicher Deutschlands in Rehden (geführt von einer Tochterfirma der Gazprom Germania) wurde kein Gas eingespeichert. Es wird spekuliert, dass Russland mit diesem Speicherstopp auf die Fertigstellung der zweiten Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu drängen versuchte.
  • Im Gegensatz zu vergangenen Kälteperioden wurden keine zusätzlichen Mengen aus Russland über bestehende Pipelines importiert

Es gab somit auf der Verkäuferseite weniger Angebot, auf der Käuferseite hingegen eine leicht erhöhte Nachfrage. Die Folge waren Preissteigerungen in der zweiten Jahreshälfte.

JAN 22

4,471 Ct./kWh

Zum 03. Januar 2022, dem ersten Handelstag im Jahr 2022, lag der Preis für die Lieferung 2023 bereits bei 4,481 Ct./kWh.

FEB 22

7,79 Ct./kWh

Die sich zuspitzende Situation im Russland-Ukraine-Konflikt führte dazu, dass der Preis am ersten Tag des Krieges, dem 24. Februar 2022, auf 7,79 Ct./kWh stieg. Die Preissteigerung gegenüber dem Jahresbeginn 2021 lag damit bereits bei über 500%.

Die Krise führte in ihrem weiteren Verlauf dazu, dass der Gasmarkt extrem nachrichtengetrieben reagierte. Obwohl sich an der rein physikalischen Verfügbarkeit von Erdgas nichts änderte, stiegen die Schwankungen an den Börsen spürbar.

JUL 22

13,767 Ct./kWh

Mit Beginn der alljährlichen  Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord-Stream 1, der bis zu diesem Zeitpunkt wichtigsten Importpipeline für Deutschland, zogen die Preise erneut an. Es wurde befürchtet, dass Russland die Lieferung nach der Wartung nicht wieder aufnehmen wird.

Am 11. Juli 2022, dem Beginn der Wartungsarbeiten, lag der Preis für Erdgas bereits bei 13,767 Ct./kWh.

JUL 22

15,422 Ct./kWh

Als Gazprom, der russische Betreiber der Pipelines in der Ostsee, am 25. Juli 2022 ankündigte, die Gaslieferungen aufgrund einer defekten Turbine ab dem 27. Juli auf maximal 20% der üblichen Kapazität zu drosseln, markierte der Gaspreis ein neues Hoch bei nunmehr 15,422 Cent. Die darauffolgenden Wochen waren geprägt durch erneute Spekulationen und Gerüchte um den Weiterbetrieb der Pipeline.

AUG 22

> 30,00 Ct./kWh

Immerhin konnte am 15. Augst das Erste der im sog. Osterpaket festgelegten Speicherziele von 75% erreicht werden. Mit der Ankündigung Gazproms, den Betrieb von Nord Stream 1 wegen eines Ölaustritts in der Kompressorstation Portowaja bis auf Weiteres nicht wieder aufzunehmen, brach Panik am Gasmarkt aus. Die Preise schlossen am Freitag, dem 25. August 2022, erstmals über 30 Ct./kWh und somit bei einem nie dagewesenem Allzeithoch.

Rückblickend hatte sich bis zum August 2022 der Preis vom Jahresanfang 2021 verzwanzigfacht. Die Konsequenzen daraus, werden wohl noch über einen langen Zeitraum zu spüren sein. Es ist auf absehbare Zeit nicht erkennbar, dass die nach Deutschland eingeführte Gasmenge signifikant steigt bzw. kurzfristig auf alternative Energiequellen zurückgegriffen werden kann.

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